Besonderes Augenmerk möchte ich auf ein vorgeburtliches Trauma legen, welches maßgebend auf die Entwicklung und auf das gesamte Sein Einfluss nimmt: der Verlust eines Zwillings (oder mehrerer Geschwister) während der Schwangerschaft, also der gemeinsamen Zeit im Bauch. Auch wenn dies zunächst unvorstellbar scheint, so lässt sich bei näherer Betrachtung durchaus nachvollziehen, welche Gefühle, Muster und Anlagen aus diesem Drama entstehen. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie sind mit ihrem allerliebsten Menschen in einem sehr engen Fahrstuhl eingeschlossen. Zunächst ist alles gut und Sie genießen die intensive Zweisamkeit. Doch dann wird ihr Geliebter schwach und schwächer und stirbt plötzlich neben Ihnen. Sie können nichts tun, es gibt keine Hilfe, kein Entkommen, Sie müssen miterleben, wie er langsam dahinsiecht und Sie müssen noch Monate neben seinem leblosen verfallenden Körper aushalten, bevor Sie alleine dort herausgeholt werden. Es gibt keinen Trost, niemanden, der Sie auffängt und auch niemanden, der Ihren Schrecken und das Unfassbare begreift, niemanden, der nachfühlen kann, was Sie durchgemacht haben, warum Sie lange danach noch immer traurig und verstört sind, weil niemand davon weiß. Ähnlich empfindet ein alleingeborener Zwilling.
Kommt ein Baby mit diesem Gepäck auf die Welt, (und häufig setzt sich das Drama bei den Umständen der Geburt noch fort) so lässt sich leichter nachvollziehen, warum es sich um ein Schreibaby handelt oder es überwiegend ruhig und betrübt wirkt.
Bis ca. zum 5./6. Lebensjahr ist die Zeit im Mutterleib noch erinnerbar. Danach verblasst die Erinnerung und die sichtbaren Folgen des frühen Traumas sind für niemanden erklärbar, insbesondere für den Betroffenen selbst nicht, denn niemand weiß von einem Trauma. Fühlt er sich doch immer anders als die Anderen, nicht zugehörig und alleine. In ihm herrscht oft eine tiefe Traurigkeit bis hin zu einer Todessehnsucht, für die er keinen wirklichen Grund findet. Alleingeborene Zwillinge entwickeln häufig ein Helfer- oder Rettersyndrom, was sich auf die Berufswahl und auch auf die Partnerwahl auswirken kann, wobei der Partner meistens das gleiche Geschlecht wie das des verlorenen Zwillings hat, nach dem er unbewusst noch immer sucht. Sich ständig aufopfern, den anderen retten wollen, führt oft zu Enttäuschung, weil er sich selbst nicht wichtig, nicht gesehen oder gar für wertlos hält. Große Verlust- und/oder Bindungsängste belasten seine Partnerschaft zusätzlich. Wegen seiner Angst vor Veränderung und seinem großen Harmoniebedürfnis kann er seine destruktive Lebenssituation nicht einmal selbst beenden. Fehler sucht er stets bei sich selbst, mit Schuld, Selbstzweifeln und Versagen kennt er sich aus. Seine ausgeprägte Empathiefähigkeit ist Fluch und Segen zugleich. Gefühle anderer spürt er nicht nur intensiv, sie rauschen förmlich ungefiltert in ihn hinein, wodurch er diese bisweilen für seine eigenen hält. Dies betrifft auch andere Sinneseindrücke, die aufgrund seiner Hochsensibilität problematisch werden können. Der Denkapparat ist ständig mit Sortieren beschäftigt, macht nie Pause, denn seine Unfähigkeit, sich abzugrenzen, muss erst überwunden werden.
Hier ist zunächst nur ein kleiner Teil dessen skizziert, welche Auswirkungen das vorgeburtliche Trauma auf das ganze Leben nehmen kann. Liegt der Zwillingsgeschichte eine Rivalität zugrunde, werden sich die Auswirkungen in anderer Weise zeigen. Mit Hilfe einer Traumatherapie lassen sich die Trauma-Folgen erlösen und der Alleingeborene kann endlich und endgültig in seinem ICH ankommen, statt etwas zu leben, was er nicht ist. Hier ist behutsames Vorgehen angezeigt, denn das ganze Sein wird auf den Kopf gestellt.